Rohes Theater

rohestheater Aachen – Theaterarbeit an der Mies-van-der-Rohe Schule

Warum beschäftigen sich circa 20 Jugendliche in ihrer Freizeit ausgiebig mit Texten von Georg Büchner, Alexander von Humboldt oder Bertolt Brecht, und wie kommt man auf die Idee, dass Georg Büchner wohl heute Mitglied bei den Grünen wäre?
Diese und andere Fragen werden beantwortet, wenn man sich die Theatergruppe des „rohestheater“ in der Mies-van-der-Rohe-Schule in Aachen anschaut. Die Jugendlichen im Alter von 16 bis 22 Jahren studieren hier am Berufskolleg für Technik unter der Leitung von Eckhard Debour erfolgreich verschiedenste Theaterstücke ein. Das letzte Theaterstück „Heilige Schlachthöfe“ – eine Anlehnung an „die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht –, wurde nun sogar in Vertretung für das Land Nordrhein-Westfalen beim Schultheater der Länder (SDL) in Berlin aufgeführt. Doch zurück zu den Fragen: Im Grunde ist es ziemlich einfach, die erste Frage zu beantworten, denn was schon nach den ersten zehn Minuten einer Theaterprobe im „rohestheater“ auffällt, ist, dass Büchner, Humboldt oder Brecht hier richtig lebendig werden. In dem neuen Theaterstück über Georg Büchners Leben beginnen die Jugendlichen sich mit Hilfe von Improvisationen in die Situation von Woyzeck oder anderen Charakteren aus Georg Büchners Dramen hinein zu fühlen und sie durch eigenes Ausprobieren zu verstehen. Da kann es passieren, dass während einer Diskussion über den Unterschied zwischen telelogischem und philosophischem Weltbild aus Georg Büchners Probevorlesung von 1836 schon mal eine Stunde ins Land geht. Eckhard Debour weiß, dass manche Texte zunächst einmal ziemlich kompliziert klingen, und hatte anfangs auch Sorge, dass die Schüler die Texte Büchners inhaltlich nicht verstehen würden. Schaut man sich jedoch die Arbeit der Jugendlichen für das neue Stück an, dann wird ziemlich schnell klar, dass die Sorge völlig unberechtigt war und die Jugendlichen begeistert versuchen, sich in die Gedankengänge Büchners hineinzuversetzen, und dass Vertrauen in die Jugendlichen natürlich auch Motivation weckt, weiterzumachen. Eckhard Debour ist es dabei wichtig, dass die Schüler auch wirklich verstehen, was sie später auf der Bühne sagen: „Man Kann nur ein Gefühl für die Rolle entwickeln, wenn man sie auch inhaltlich nachvollziehen kann, und man sollte eine Rolle übernehmen, bei der man Gefühle hat, die man von sich selbst kennt“, sagt er.
Die Arbeitsweise zu Beginn eines neuen Stücks ist dabei auf diese Aussage ausgerichtet. Alle Beteiligten erarbeiten zunächst in kleinen Gruppen Improvisationen, in denen sie den Text verstehen und ein Gefühl für die Rollen entwickeln, die sie später auf der Bühne darstellen werden. Die Form ist dabei erst einmal wichtiger als der Inhalt. Es wird geschrien, auf Stühlen auf und ab gesprungen und es kann auch sein, das ein völlig verrückter König seine dümmlichen Untertanen durch die Gegend schickt, um nach etwas zu suchen, das es gar nicht gibt. Klar ist in jedem Fall, dass jeder sich selbst in seiner Rolle ausprobieren kann. Abschließend werden noch die Ergebnisse der Kleingruppen besprochen und es entstehen gleichzeitig schon Ideen für einen möglichen Bühnenaufbau oder die Kostüme. Die Jugendlichen sagen: „Schauspiel macht einfach Spaß und man bekommt durch das Schlüpfen in eine Rolle die Möglichkeit, sich selber auszuprobieren.“ „Schauspiel ist für die Persönlichkeitsbildung außerhalb des Unterrichts unglaublich wichtig, es bedeutet Selbsterkennung, Selbsterfahrung, stärkt das Rückgrat und macht die Schüler auch im Unterricht mutiger“, sagt Eckhard Debour. Er selbst hat mit dem Schauspiel schon vor 20 Jahren, während seiner Referendarzeit als Lehrer für Deutsch und Religion, angefangen und findet, dass das Schauspiel im regulären Deutschunterricht viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Georg Büchner wäre heute übrigens bei den Grünen, weil er glaubt, dass man das geistig-ideelle mit dem materialistisch-ökonomischem Denken verbinden muss, um die besten Resultate in Bezug auf jede Lebenssituation zu erzielen.