Grußwort Jürgen Schattmann, MGFFI
Grußwort zur Fachtagung Jungenart am 15. September 2008 in Dortmund von Jürgen Schattmann, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Ihnen zur heutigen Fachtagung JUNGENART der LAG Jungenarbeit und der LAG Bildung und Kultur die herzlichen Grüße des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen überbringen.
Die öffentliche Debatte über Jungen ist heute von einer überwiegend negativen Sicht auf männliche Jugendliche geprägt. Jungen machen Probleme, sie hängen bezüglich ihrer Bildungsleistungen Mädchen hinterher, sie üben Gewalt aus. Dies sind exemplarische Aussagen darüber, wie Jungen heute wahrgenommen werden. Typisch männliches Verhalten von Jungen gilt im pädagogischen Betrieb oftmals als ein Störfaktor.
Aus meiner Sicht deckt sich diese Sichtweise jedoch nicht mit der Realität. Jungen sind überwiegend unproblematisch und unauffällig, fallen nicht durch Gewalttaten auf und erbringen im Bildungssystem gute Leistungen. Sie verhalten sich freilich anders als Mädchen. Als Beispiel möchte ich hier nur nennen, dass Jungen in der Regel ein deutlich kompetitiveres Verhalten als Mädchen an den Tag legen. Wesentlich für die Wahrnehmung von Jungen scheint mir zu sein, dass der Blick auf diese bisher noch zu wenig die speziellen Bedürfnisse männlicher Jugendlicher berücksichtigt. Hingegen ist der geschlechtsspezifische Blick auf Mädchen im Rahmen der Jugendarbeit und auch der Schulen heute weitgehend verankert. Was wir also brauchen ist ein solcher geschlechtsspezifischer Blick auf Jungen im Rahmen pädagogischer Konzepte von Jugendarbeit und Schule. Insgesamt geht es also um einen geschlechterdifferenzierten Blick auf Bedürfnislagen, Interessen und Befähigungen.
Dabei ist zu bedenken, dass Bedürfnisse nicht statisch sind. Gerade in den letzten Jahren haben gesellschaftliche Veränderungen bewirkt, dass sich auch die Bedürfnisse von Mädchen und Jungen verändern. So führte der Abschied von einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, bei der Frauen zu Hause bleiben und sich um die Kindererziehung kümmern und Männer arbeiten gehen, eben nicht nur zu einer Veränderung des Blickwinkels auf weibliche Rollen, sondern auch zu Veränderungen der Männlichkeitsbilder. Für Jungen bedeutet dies, dass zu den traditionellen männlichen Attributen wie Durchsetzungsstärke, Konfliktfähigkeit und Teamorientierung Kommunikationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen als notwendige Elemente von Befähigungen hinzukommen. Um diesen Anforderungen auch im Erziehungsprozess gerecht werden zu können, müssen Erziehungsmuster in Familie, Schule und Kindergarten weiterentwickelt werden. Dies geschieht nicht von selbst und auch nicht in kurzer Zeit. Es bedarf hier vielmehr der konzeptionellen Anstrengung der in der Verantwortung stehenden Pädagoginnen und Pädagogen.
Hierzu einen Beitrag zu leisten ist insbesondere eine Aufgabe der Jugendarbeit. Die Förderung von Jungenprojekten ebnet den Weg hin zu einer insgesamt verbesserten geschlechterdifferenzierten Betrachtung von pädagogischen Angeboten. Um dieser Entwicklung verstärkte Impulse zu geben, hat der Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration, Herr Laschet, die Landesinitiative Jungenarbeit angestoßen. Deren Ziel ist es, eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung von Jungen zu erreichen. Dabei geht es insbesondere darum, Jungen nicht in erster Linie als Störfaktor wahrzunehmen, sondern ihre Stärken und Bedürfnisse in den Fordergrund zu stellen. Über gezielte Projekte und Informationsvermittlungen soll die Praxis der Jugendarbeit angeregt werden, neue Ansätze der pädagogischen Arbeit mit Jungen zu entwickeln.
Die geschlechtsspezifische Jugendarbeit ist in Nordrhein-Westfalen gut aufgestellt. Mit einer Vielzahl von Projekten der koordinierenden und anregenden Tätigkeit von Landesarbeitsgemeinschaften für Jungenarbeit und Mädchenarbeit sowie der Fachstelle Gender NRW steht eine gute Infrastruktur zur Weiterentwicklung der Jugendarbeit zur Verfügung. Kein anderes Bundesland unterstützt diese Aktivitäten so stark wie Nordrhein-Westfalen.
Die Veränderung von Männlichkeitsbildern erfolgt nicht nur über Impulse für die öffentliche Diskussion. Wichtig ist, dass sich die Rollenbilder bei den Jungen selbst verändern. Rollenbilder und Selbstverständnis haben in hohem Maße etwas mit Kultur zu tun, also mit der Frage wie wir leben. Kulturelles Engagement ist ein wesentlicher Bestandteil von Selbsterkenntnisprozessen und damit von Veränderungen. Betrachtet man Jungen unter klassischen Kulturgesichtpunkten dann kann man feststellen, dass – zumindest dem öffentlichen Vernehmen nach – Jungen weniger lesen als Mädchen, seltener ein Instrument spielen und seltener ins Theater oder in ein Konzert gehen. Auch hier handelt es sich eher um Vorurteile als um Tatsachen. Denn Jungen betätigen sich vielfach kulturell: sie spielen in Bands, machen mit in Theaterprojekten, drehen Filme, die sie auf YouTube veröffentlichen, nutzen ihren PC für eigene Programmierung von Spielen oder Musik, sie malen, sprayen oder nutzen andere Angebote kultureller Ausdrucksformen.
Vielfach ist bei Jungen die kulturelle Äußerungsform jedoch auch gleichzeitig Ausdruck jugendlichen Protestes und der Abgrenzung von dem, was die Erwachsenen von ihnen erwarten. Dies wiederum hat zur Folge, dass oftmals statt der kulturellen Äußerungsform das Problem der Abweichung wahrgenommen wird. Vielleicht steckt dahinter das Problem, dass viele nicht dazu in der Lage sind, kulturelle Äußerungen als Einheit von Kunst und Protest zu sehen der für Jungen in dieser Entwicklungsphase normal ist – eben ihre Form der Auseinadersetzung mit der vorgefundenen und erlebten Realität. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, diesen scheinbaren Widerspruch vielleicht nicht aufzulösen, aber zumindest erkennbar zu machen. Es ist daher zu begrüßen, dass die heutige Tagung sich genau mit diesem Themenfeld auseinandersetzen will. Sie kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Jungen so zu sehen wie sie sind und weniger so zu sehen wie sie sein sollten. Vor allem aber kann sie dazu beitragen, der kulturellen und geschlechterbewussten Jugendarbeit mit Jungen einen neuen Impuls zu geben. Wenn das Ziel erreicht wird, dass diese Tagung einen solchen Impuls auslöst, indessen Folge Jungen mehr Plattformen und Möglichkeiten für künstlerische Ausdrucksformen zur Verfügung gestellt werden, dann ist schon viel erreicht.
Ich halte es für wichtig diese Ziele zu erreichen, denn dies hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Jungen die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten breiter zu entwickeln, trägt dazu bei, ihre Chancen für gesellschaftliche Teilhabe zu erhöhen und dabei nicht nur den Bereich des Berufs im Blick zu haben. Es geht also in erster Linie um Persönlichkeitsbildung.
Ich hoffe sehr, dass die heutige Tagung eine Initialzündung für die geschlechtsspezifische kulturelle Jugendarbeit mit Jungen ist.
Ich wünsche Ihnen einen fruchtbaren Austausch und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.