Vaterhunger
Der Vaterhunger ist der größte Hunger unserer Kultur. Der Vaterhunger ist der Hunger nach erlebbaren Männern, die ich um mich habe. Die „vaterlose Gesellschaft“ ist ein geflügeltes Wort geworden. Wenn wir erleben wollen, was das bedeutet, müssen wir nur kurz in den Kindergarten schauen, denn dort leben die Frauen und Mädchen und Jungs. Und wenn im Kindergarten ein Mann auftaucht, dann ist das wie ein Paradiesvogel. Der ist selten, schrill, bunt, er fällt auf. Ein Kollege hat einmal gesagt: „In der frühkindlichen Sozialisation ist ein Mann wie ein Blitzlicht. Kurz, grell, er verschwindet schnell wieder und hinterlässt geblendete Kinder.“ Der Vaterhunger macht aber auch deutlich, dass Männer es als eine wichtige Aufgabe in ihrem Leben ansehen, zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Und interessanterweise sehen es viele auch als eine wichtige Aufgabe an, eine Familie zu gründen, also Vater zu sein.
Die Untersuchung zeigt allerdings, dass die Erwerbstätigkeit von Männern, die Vater geworden sind, zunimmt. Und das macht ein Dilemma deutlich: Diese Männer arbeiten nicht deshalb mehr, weil sie sagen, meine Kinder sind mir nicht wichtig, sondern weil sie den Ernährerdruck spüren. Das ist nichts Böswilliges, sondern sie merken das einfach. Das ist ein Aspekt, warum diese Männer plötzlich mehr arbeiten.
Es gibt noch andere Aspekte, die ich jetzt aber nicht erwähnen möchte. Das bedeutet aber, der Vaterhunger ist da, und den haben Mädchen wie Jungs. Deshalb stürzen sich im Kindergarten, wenn ein Praktikant, ein männlicher Erzieher oder ein Zivi auftaucht, alle Kinder auf diesen, und die Erzieherinnen stehen da und denken: „Oh Mann, ich muss eine schlechte Erzieherin sein.“ Das ist aber nicht der Fall, weil der Mann hier der Paradiesvogel ist, und auf den stürzt man sich, weil er eben ein Paradies¬vogel ist, und nicht, weil er pädagogisch so kompetent ist. Das kann man zu so einem frühen Zeitpunkt nämlich noch gar nicht wissen. Die Kinder stürzen sich also darauf, und das ist Bild für den Vaterhunger.
Das bedeutet aber auch, dass wir das in unserer Arbeit mit den Jungs mit berücksichtigen müssen und dass wir sehen, dass dieser Vaterhunger auch dazu führt, dass wir, gerade, wenn wir als Männer mit Jungs arbeiten, ein Stück weit bevatern müssen. Das ist ein Anspruch, mit dem jeder Mann, der mit Jungs arbeitet, konfrontiert wird. Ob es ihm passt oder nicht. […]
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Diskussion Koch/Riederle
Moderator: Hallo Josef Riederle. Wir haben gerade ein Ritual geübt, vielleicht machen wir das einfach einmal …
Josef Riederle: Ich arbeite sehr stark mit Ritualen. Ich arbeite mit Jungs sehr viel mit Bewegung und habe festgestellt: Bewegung braucht Rituale für Jungs, damit sie die Ernsthaftigkeit und den Respekt begreifen. Damit sie auch merken: Mein Gegenüber respektiert sich selber, und er respektiert mich, und wenn ich selber merke, ich respektiere mich, dann kann ich andere auch respektieren. Rituale helfen dabei. Und wir haben tatsächlich vorhin, als wir uns kennengelernt haben, dieses Ritual gemacht, vielleicht machen wir es beide einmal miteinander.
Moderator: Es ist auch nicht so dramatisch, wie Sie jetzt vielleicht denken. (Lachen)
Josef Riederle: Es geht darum, erst einmal hier zu stehen mit dem Gefühl: Hier bin ich. Nicht noch ein bisschen herumzuzappeln, sondern wenn ich mich ernst nehme, dann muss ich erst einmal da sein. Dann schaue ich mein Gegenüber an – diese Distanz ist genau richtig – und einer von uns wird seine Hände hinhalten. Das wird am Anfang Thomas Koch sein. Das ist eine Position des Nehmens, das ist nicht aktiv. Er wartet ab, bis ich komme mit meinem Impuls. (Klatschen)
Moderator: Man könnte auch sagen, Josef Riederle hat seine Hyperaktivität in den Griff bekommen. (Lachen) […]
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